BlogontheCock #9
19. September 2013 Hinterlasse einen Kommentar
Es ist die zweite Augustwoche, und Christine sagt
noch immer nichts. Ich torkel aus dem Rollberg-Kino durch Neukölln, denn ich habe mir große Säle abgewöhnt, seit ich allein bin. Ich verabschiede mich von meiner Begleitung, reflektiere lieber allein und schicke ihn fort. Ich kaufe mir beim Späti ein Bier und wander still die Reuterstraße hoch, lasse mich vor einem Backsteinkoloss nieder und starre auf eine schnatternde Party Crowd, die diese Nacht ewig machen will. Sobald die Sommertemperaturen das zulassen, leiden die Leute bereits wochentags unter dem FOMO-Fieber (Fear of Missing out, erklärte mein transsexueller Nachbar, respektive Nachbarin). Hier vorm Silver Future wird laut geredet, als wär es nicht Mitternacht, und lauthals gelacht, als gebe es Schreckliches zu verdrängen. Nur, mit wem streite ich jetzt über Trance?
Wo ist sie heut abend, und findet sie es schön dort? Wenn sie hier wäre, wär das wie damals? In der Hitze der Nacht spüle ich OREO-Krümel mit Bier durch den Mund und führe ein betörendes Selbstgespräch über Danny Boyle, aber keiner unterbricht mich. Christines Meinung zu Rosario Dawson, die einfach nicht über ihre ernsthafte Schönheit hinweg kommt, bleibt unausgesprochen. James McAvoy, der seit zehn Jahren den immergleichen Jungen spielt, wird heut von Keiner schöngeredet.
Und dann natürlich Danny Boyle, unser beider Held, der immer und immer besser wurde, nachdem er mit Kleine Morde unter Freunden den Pief aus dem britischen Kino fegte und mit Trainspotting alles in Brand setzte… Auf Parties wurde zum Soundtrack geknutscht, Ewan McGregor hing an meiner Wand, ich kleidete mich wie Diane und mein erster Freund sah aus wie Sick Boy, für mich zumindest. Trainspotting läutete Cool Britannia auf der Leinwand ein, das war 1996, das waren wir, und jeder spürte, dass es nie wieder so richtig richtig werden würde. Wir behielten Recht. Denn während Oasis und Pulp und the Verve kopiert und vergessen wurden (Christine würde natürlich Spice Girls und All Saints dazu zählen), erstarrte das neue britische Kino, fand keine Nachahmer, nur die Großen bleiben unangetastet und landen im Museum.
— Und dort betrachtete Boyle sein Jugendwerk, 15 Jahre älter und international gefeiert, angekommen, mit nem Babe und nem Oscar unterm Arm, und dachte sich scheinbar: Vielleicht krieg ich das nochmal hin. Alte Tricks abgestaubt, selbstverliebte Kamerabewegungen, im Herzschlag des vergangenen Jahrtausends, neon und zotig. Das Resultat ist Trance, und weshalb nun der Blick zurück gerichtet wird, nachdem 28 Tage später und Sunshine und 127 Stunden neues Terrain eroberten__ Man will es eigentlich nicht wissen und vergessen und freut sich auf den nächsten Boyle, den hier verzeihe ich, den lass ich ihm.
Christine würde das ja alles lieben, würde es trippy nennen, und mutig, und überladen auf eine gute Art. Einfach schon, um zu widersprechen. Die kleine Sau, sie wird so sehr vermisst. Ich lasse den Schlüssel aufs Parkett knallen, plumpse im meinen Sessel, zünde mir eine FRED an und höre auf dem Anrufbeantworter: „Der neue Boyle ist scheußlich. Lass uns treffen.“
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diese Woche auch neu im Kino:
Sébastian Lelio, Gloria mit Paulina García
Gore Verbinski, Lone Ranger mit Johnny Depp
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